Im Fokus: Kinder aus suchtbelasteten Familien
Mittwoch,
1. Februar 2017
Letzte Aktualisierung Januar 2025
In Deutschland lebt jedes sechste Kind in einer Familie, in der ein oder beide Elternteile von einer Suchterkrankung betroffen sind. Bezüglich der Alkoholproblematik hierzulande bedeutet das, dass in einer Schulklasse etwa drei Kinder aus einer Familie mit einem Alkoholproblem kommen. Oder anders formuliert, dass in etwa jedem zehnten Haus ein Kind lebt, dessen Vater und beziehungsweise oder dessen Mutter eine Alkoholerkrankung hat. Mit ein oder zwei drogenabhängigen Elternteilen leben in Deutschland etwa 50.000 Kinder zusammen. Die Zahl der Kinder mit medikamentenabhängigen, spielsüchtigen oder essgestörten Eltern ist nicht bekannt.
Die Suchterkrankung der Eltern gefährdet die gesunde Entwicklung der Kinder
Diese Kinder suchtbelasteter Familien bedürfen der besonderen Aufmerksamkeit – einer Sensibilität im Umfeld, sicherer und liebevoller Beziehungen außerhalb der eigenen Familie und professioneller Begleitung durch kompetente Hilfesysteme. Die landläufige Meinung, dass die betroffenen Kinder die Umstände in ihrer Familie „nicht mitbekommen“, also will heißen, nicht realisieren, ist falsch. Nur etwa die Hälfte der Kinder aus suchtbelasteten Familien werden gesunde Erwachsene. Die anderen 50 Prozent sind gefährdet, aufgrund der elterlichen Situation eigene Erkrankungen zu bekommen. Denn die Suchterkrankung der Eltern hat problematische Auswirkungen auf die Entwicklungsmöglichkeiten der Kinder. Die Atmosphäre zu Hause ist häufig angespannt, von willkürlichem Verhalten und schwankenden Stimmungen geprägt. Im Rausch überschreiten die Eltern häufig Grenzen. Nicht selten kommt es zu Streit, manchmal sogar mit Gewalt bis hin zu sexuellen Übergriffen. Dieses Verhalten bereuen die Eltern dann nachher und versuchen, „es wieder gut zu machen“. So müssen die Kinder sich häufig extremen Stimmungsschwankungen anpassen.
Kinder suchtkranker Eltern leiden
Kinder, die solchen Situationen im Elternhaus ausgeliefert sind, sind meist durchgehend belastet. Das kann zu Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen sowie zu Leistungsmangel führen. Auch auffälliges Verhalten der Kinder kann eine Folge sein, weil sie ein auffälliges Gebaren vorgelebt bekommen. Bleibt die belastende Situation im Elternhaus über einen langen Zeitraum bestehen, können die Kinder eigene psychosomatische Beschwerden oder sogar eine eigene Suchterkrankung entwickeln.
Diese Kinder haben besonders positive Fähigkeiten
Es gibt jedoch auch Positives zu berichten: Es zeigt sich nämlich, dass Kinder aus suchtbelasteten Familien meist gut in der Lage sind, eigene positive Stärken aus der vorhandenen schwierigen Situation zu entwickeln. So nutzen sie ihre Talente effektiv und haben nicht selten spezielle Hobbies. Sie nehmen gerne an Gemeinschaftsaktivitäten teil und bringen sich gut ein. Aufgrund der problematischen Situationen, die ihnen im Alltag begegnen, können sie meist gut und positiv mit Problemlagen umgehen. Sie haben oft gerade hier gute Ideen, wie es weitergehen kann. Außerdem wissen sie gute Freundschaften zu schätzen.
Tipps aus der Resilienzforschung zur Unterstützung der Kinder
Wie können Personen im direkten Umfeld diese Kinder unterstützen, damit sie gesund heranwachsen? Was können Erzieherinnen, Erzieher und Lehrkräfte, aber auch Angehörige, Freunde und Nachbarn tun, um zu helfen? Hier gibt es Ratschläge aus der Resilienzforschung – der Forschung, die sich mit der psychischen Widerstandskraft des Menschen beschäftigt:
- Grundlegendes Vertrauen: Wenn wir diesen Kindern in einer vertrauensvollen Atmosphäre begegnen, erfahren sie, dass das Leben einen Sinn hat und es Lösungen bei Problemen gibt.
- Wenn das Kind dafür bereit ist, hilft die Auseinandersetzung mit der Realität in Form von Gesprächen oder auch durch Malen. So bekommt das Kind eine Einsicht für die Situation der elterlichen Erkrankung. Es kann besser eigene Entscheidungen treffen und einen alternativen Lebensweg finden.
- Die gesunde Bindungsfähigkeit ist ein wichtiger Bereich. Meist haben die Kinder aus suchtbelasteten Familien weitere Bezugspersonen, zu denen es gute Verbindungen gibt. Wichtig ist, dafür zu sorgen, dass diese Verbindungen möglichst bestehen bleiben.
- Die Kinder aus suchtbelasteten Familien verfügen nicht selten über große Improvisationsfähigkeit. Es ist wichtig, die Förderung ihrer Kreativität zu unterstützen, damit sie neben dem recht starren Erleben im Elternhaus eine freie Entfaltungsmöglichkeit erhalten.
- Auf den Kinderstationen in Krankenhäusern gibt es oftmals Clowns. Von ihnen wissen wir, welch positive Wirkung der Humor auf das Wohlbefinden und die Heilung hat. Humor ist also ein weiterer wichtiger Bereich. Durch beispielsweise ein lustiges Theater in der Kita oder einen netten Kindergeburtstag in der Nachbarschaft kann man den Kindern das Lachen in einer schönen Atmosphäre ermöglichen.
Schulung und weitere Informationen
Der Fachbereich Suchtprävention des Landeamts für Soziales, Jugend und Versorgung legt einen thematischen Schwerpunkt auf das Thema Kinder aus suchtbelasteten Familien und bietet unter dem Titel „Kind s/Sucht Familie" ein Schulungsprogramm für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren an. Ziel ist es, den Kindern ein Unterstützungssystem außerhalb ihrer Herkunftsfamilie zu bieten. So sollen sie die Möglichkeit erhalten, ein eigenes – suchtfreies – Leben zu gestalten, ohne die Verantwortung für die Suchtproblematik in ihrer Familie zu übernehmen. Weitere Informationen zum Programm „Kind s/Sucht Familie" sowie Links zu Publikationen und hilfreichen Webseiten finden Sie auf Suchtprävention RLP.
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