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Kinder brauchen sichere Bindungen

Donnerstag, 15. August 2024

Wenn ein Mensch auf die Welt kommt, ist sein Gehirn noch unfertig und unausgereift. Gerade einmal die fürs Überleben unmittelbar wichtigen Funktionen sind vorhanden. Alle anderen Bereiche müssen sich erst noch entwickeln. Faszinierend dabei ist, dass das Gehirn des Menschen individuell programmierbar ist. Das ist kein Nachteil, ganz im Gegenteil. Mit einem noch unfertigen Gehirn sind wir dazu in der Lage, uns in den vielen verschiedenen Lebenssituationen und Gemeinschaften, in die ein Mensch hineingeboren werden kann, zurechtzufinden und uns anzupassen. Damit die Anpassung gelingt, sind das Vertrauen und eine sichere Bindung zu einer Bezugsperson wichtig.

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Vernetzungsprozesse im Gehirn

Kinder sind neugierig und wollen Neues erfahren. Neues zu wagen, kann aber auch bedrohlich wirken. Es kann verängstigen, zum ersten Mal ohne die Hand eines Erwachsenen zu laufen, zum ersten Mal ins Wasser zu gehen oder das erste Mal alleine das Haus zu verlassen – und sei es nur, um das Nachbarskind zu besuchen.

Mit allen neuen Erlebnissen und Erfahrungen bilden sich Vernetzungen und Strukturen im Gehirn. Die Gehirnzellen, die es nicht schaffen, sich zu vernetzen, sterben ab. Die anderen überleben. Dieser Prozess findet größtenteils in den ersten Lebensjahren statt. Doch tatsächlich ist das Gehirn erst mit etwa 20 Jahren vollständig ausgereift, lange nach der Beendigung der Pubertät.

Die Vernetzungen bilden sich nur optimal aus, wenn das Kind Vertrauen besitzt. Wenn es hingegen verunsichert ist, Angst oder Druck verspürt, wenn es sich alleine fühlt, wenn es keine Resonanz auf sein Verhalten erfährt, breiten sich Stresshormone im Gehirn aus. Damit fällt es dem Kind schwer, Neues lernen, es greift vielmehr auf die bereits vorhandenen Muster zurück. Dies kann Zorn, Angst, Trotz oder Rückzug sein. Jeder von uns weiß das: Auch im Erwachsenenalter können wir unter Angst und Stress nicht lernen. So ist das, was wir uns wenige Minuten vor einer wichtigen Prüfung noch ängstlich einprägen wollen, meist vergebliche Liebesmüh.

Voraussetzungen, damit sich ein Kind sicher fühlen kann

Das Gefühl von Sicherheit und Vertrauen, das für eine gute Gehirnentwicklung wichtig ist, setzt eine verlässliche Bindung an Bezugspersonen voraus. Das sind in den meisten Fällen die Eltern, aber auch Großeltern, Pflegepersonen, Erzieherinnen und Erzieher oder andere nahestehende Erwachsene können eine wichtige Rolle spielen. Kinder machen die Erfahrung, dass ihnen diese Menschen Nahrung, Geborgenheit, Trost und Zärtlichkeit geben und ihnen das sichere Gefühl vermitteln, dass sie für sie da sind.

Untersuchungen haben gezeigt, dass 60 bis 70 Prozent der Kinder eine sichere emotionale Bindung an Erwachsene haben. Jeweils 10 bis 15 Prozent weisen Bindungsstile auf, die man als unsicher-vermeidend oder unsicher-ambivalent bezeichnet. Eine desorganisierte Bindung – ein Ergebnis von extrem unzuverlässigen, widersprüchlichen oder traumatisierenden Erfahrungen in der frühen Kindheit – ließ sich bei 5 bis 10 Prozent der Kinder nachweisen. Sie gilt als Risikofaktor für eine ungünstige Entwicklung und spätere psychische Störungen.

Bindungen erhalten und stärken

Um Bindungen zu erhalten und zu vertiefen, gibt es ein paar grundlegende Anhaltspunkte. Zum Beispiel stärkt Zeit, die bewusst miteinander verbracht wird, die emotionale Bindung an eine Bezugsperson. Das können Aktivitäten sein wie Spielen, Vorlesen, Spazierengehen oder ein gemeinsames Hobby. Indem Sie sich Zeit nehmen, signalisieren Sie dem Kind, dass es wertgeschätzt wird. Wenn das Kind körperliche Nähe sucht, kuscheln oder hochgenommen werden will, gehen Sie darauf ein – und akzeptieren Sie, wenn es die Nähe nicht mehr braucht.

Weiterhin ist es wichtig, dem Kind die Sicherheit zu geben, dass es Ihnen vertrauen kann. Ihr Kind wird vor viele Herausforderungen gestellt werden. Vertrauen heißt nicht, dass Sie alles gut finden müssen, was Ihr Kind will, sagt und tut. Sie dürfen auch Grenzen setzen, nein sagen und Ihrem Kind damit Orientierung geben. Wichtig ist nur, dass Sie das Kind in seinem Wesen und mit seinen Bedürfnissen sehen und ihm zeigen, dass Sie es ernst nehmen – auch wenn Sie ihm nicht alle Wünsche erfüllen können oder nicht immer einer Meinung sind.

Umgekehrt brauchen Kinder auch die Erfahrung, dass die Erwachsenen ihnen Vertrauen schenken. Das können Sie zeigen, indem Sie dem Kind altersgerechte Verantwortung übertragen und ihm die Möglichkeit geben, eigene Entscheidungen zu treffen.

Ein Kind muss lernen, seine eigenen Fähigkeiten zu entdecken. Lob und positive Bestärkung für gutes Verhalten und Erfolge unterstützen das Selbstwertgefühl des Kindes und die Bindung an die Bezugspersonen. Wahlloses Loben ist dagegen nicht förderlich. Es kann dazu führen, dass Kinder nicht die Möglichkeit haben, aus ihren Fehlern zu lernen. Konstruktive, ehrliche Rückmeldung, die auch Schwächen oder Verbesserungsmöglichkeiten aufzeigt, ist wichtig für die Entwicklung von Fähigkeiten und die Motivation, sich zu steigern.

Kinder brauchen das Gefühl, dass ihre Bezugspersonen regelmäßig und verlässlich für sie da sind – insbesondere in Situationen, in denen sie Unterstützung oder Trost brauchen. Konsistentes (widerspruchsfreies) und vorhersehbares Verhalten der Erziehenden gibt dem Kind Sicherheit. Wenn Kinder wissen, was sie von ihren wichtigsten Menschen erwarten können, entwickeln sie ein Gefühl von Stabilität und Geborgenheit.

Ein soziales Umfeld, in dem diese Prinzipien berücksichtigt werden, unterstützt die Vernetzungsprozesse im Gehirn und fördert die gesunde kognitive Entwicklung des Kindes.

© Landeszentrale für Gesundheitsförderung in Rheinland-Pfalz e.V. (LZG)
Text: Dr. Beatrice Wagner; Text und Redaktion: Andrea Sudiana, E-Mail asudiana@lzg-rlp.de


 

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