Stottern - Mögliche Ursachen, Symptomatik und Therapien
Sonntag,
1. Oktober 2017
Etwas sagen zu wollen und es nicht fließend aussprechen zu können – dahinter kann eine körperlich bedingte Sprechbehinderung stehen – das Stottern.
Was ist Stottern?
Das Sprechen ist gekennzeichnet durch häufiges Wiederholen oder Dehnen von Lauten, Silben oder Wörtern. Hinzu kommt oft ein Zögern und Innehalten im Redeflusses. Wer stottert, neigt zudem dazu, Füllwörter zu benutzen oder die gefürchteten Wörter zu umgehen. Diese Anzeichen können natürlich bei jedem Menschen einmal auftreten. Sie werden nur dann als Störung eingeteilt, wenn sie länger als drei Monate andauern und die Sprechflüssigkeit deutlich beeinträchtigt ist.
Alltagshürde Stottern – Begleitsymptome können auftreten
Wer stottert, für den ist jedes Telefonat, jeder Einkauf, Schule, Studium, Ausbildung, Arbeit mit der bangen Frage verbunden: Wird die Sprache wieder verrücktspielen? Oder werde ich meine Worte glatt und flüssig herausbringen können? Häufig entwickeln Stotternde deshalb eine Begleitsymptomatik: auffällige Verkrampfungen der Gesichtsmuskulatur oder zusätzliche Körperbewegungen beim Sprechen. Häufig werden auch Ängste vor Sprechsituationen entwickelt.
Weiterhin fühlen sich die Betroffenen auch sozusagen in sich selbst eingeschlossen, sie entwickeln Anzeichen eines „Locked-in-Syndroms“. Denn sie sagen oft nicht exakt, was sie meinen, sondern das, was schnell geht und was sie leichter aussprechen können. So kommt es zu dem Gefühl, dass die Gedanken eingesperrt bleiben, weil sie nicht ausgesprochen werden können. Vor allem Kinder können so zum Beispiel Schüchternheit, Unsicherheit oder auch Aggressivität entwickeln, weil sie sich in ihrer Umgebung ständig mit der Beeinträchtigung konfrontiert sehen.
Häufigkeit und mögliche Ursachen
Fünf Prozent der Kinder, meist im Alter zwischen zwei und fünf Jahren, stottern. Sie haben zuvor bereits flüssig gesprochen. Bis zur Pubertät sprechen die Kinder meist wieder flüssig. Doch ein Prozent der Erwachsenen stottern dauerhaft, das sind etwa 800.000 Menschen in Deutschland.
Das Stottern beruht nicht auf psychischen Problemen. Die dahinterstehenden Ursachen sind in der Hirnkoordination zu finden. So erklärten Göttinger Forscher im Jahr 2015, dass bei Stotternden die Bewegungsvorbereitung im linksseitigen motorischen Areal des Gehirns nicht gut funktioniert. Schon ein paar Jahre zuvor hatten Forscher herausgefunden: Bei Stotternden wird die Sprechmuskulatur angesteuert, bevor die Planung der Wörter abgeschlossen ist. Zudem scheint das auditorische Feedback der eigenen Sprache gestört zu sein: Die Betroffenen hören sich also selbst nicht richtig, was verwirrend sein kann.
Die Ursache des Stotterns ist damit noch nicht restlos erklärt. Doch wenn es einmal auftritt, kommen Kinder schnell in einen Teufelskreis. Das Sprechen wird anstrengend und frustrierend, das Kind verliert seine Unbefangenheit gegenüber dem Sprechen und wird ängstlich. Dies erhält das Stottern aufrecht oder verstärkt es noch. Je länger das Stottern andauert, desto schwieriger kann es durch Therapie behoben werden.
Therapien
Es gibt zahlreiche Therapiemethoden für Stotternde, diese lassen sich in zwei Hauptrichtungen unterteilen.
Erstens: Das Erlernen von Sprechtechniken - Fluency Shaping
Diese Art von Therapien setzen am Stottern selbst an. Übersetzt bedeutet der englische Begriff: das Formen des flüssigen Sprechens. Flüssiges Sprechen kann bei Stotternden zum Beispiel mit Hilfe eines vorgegebenen Sprechrhythmus oder einer vorgegebenen Melodie erreicht werden. Singen oder Gedichte-Rezitieren gelingt nämlich oftmals stotterlos. Hier bildet der Takt der Musik oder die Metrik der Gedichte eine Art äußeren Taktgeber, der es dem Gehirn offensichtlich erleichtert, die Funktionen der verschiedenen Sprechareale zu synchronisieren. So wird bei diesen Therapien zunächst ein langsamer Sprechrhythmus über einen Computer vorgegeben, und es wird mit weichen Stimmeinsätzen und bewusstem Atmen gesprochen. Über das langsame und häufige Üben lernen die Betroffenen, einen vorgegebenen Sprechrhythmus zu verinnerlichen. Im Gehirn werden durch das Üben Verbindungsbahnen zwischen den Sprechzentren hergestellt.
Zweitens: Die „Nicht-Vermeidungs-Strategien“
Diese setzen bei der Erkenntnis an, dass sich unter Stress das Stottern verschlimmert und dass das Stottern selbst ebenfalls Stress erzeugt. So geht es zunächst darum, seine Störung zu akzeptieren und nicht dauernd damit zu hadern. Zudem lernen die Betroffenen Beruhigungsmethoden. Denn Selbstgespräche oder auch Gespräche mit vertrauten Menschen – bei denen keine Angst im Spiel ist – laufen meist stotterfrei ab. Das angstfreie, selbstbewusste Sprechen, auch vor und mit Fremden, steht im Mittelpunkt dieser Behandlung.
Stotternde Kinder
Im Kindesalter ist Stottern häufig ein vorübergehendes Symptom. Da aber selbst Experten ein Verbleiben des Stotterns oder eine Spontanheilung nicht vorhersagen können, kann eine Frühdiagnostik eventuell ratsam sein. Denn eine Therapie kann schon im Alter von zwei oder drei Lebensjahren beginnen.
Das können Sie als Eltern eines stotternden Kindes tun
Allerdings weisen wir darauf hin, dass es sich bei Kleinkindern in diesem Alter auch um ein nicht ungewöhnliches Entwicklungsstottern handeln kann. Kleinkinder sind voller Mitteilungsdrang, weil sie beginnen, die Welt zu erobern, aber ihre Sprache funktioniert noch nicht im gleichen Tempo. Als Eltern sollten Sie Ihrem Kind behutsam helfen, indem Sie einen Teil der herausgesprudelten Geschichte geordnet wiederholen, die Erzählung des Kindes dabei bestätigen und ihm auch neue Wörter anbieten. Diese Art des Stotterns gibt sich meist in der Zeit bis zum Schuleintritt.
Das Lidcombe-Programm für Kleinkinder
Für Kinder im Alter von drei bis fünf Jahren gibt es zum Beispiel das australische Lidcombe-Programm. Dabei werden die Eltern zu Co-Therapeuten herangebildet und lernen, Kinder in strukturierten Spielsituationen für flüssiges Sprechen zu loben und hin und wieder unverkrampft auf das Stottern hinzuweisen. Eine solche Verhaltenstherapie funktioniert allerdings nur bei den Kleinen, denn diese sind für ein konditionierendes Lob besonders empfänglich.
© Landeszentrale für Gesundheitsförderung in Rheinland-Pfalz e.V. (LZG)
Text: Dr. Beatrice Wagner
Redaktion: Marielle Becker
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