Wenn Medikamente zur Gewohnheit werden – Schädlicher Medikamentengebrauch
Sonntag,
16. September 2018
Es sind alarmierende Zahlen: Über 6.300 versehentliche Vergiftungsfälle im Erwachsenenalter werden jährlich vom Giftinformationszentrum in Rheinland-Pfalz registriert. An erster Stelle der Ursachen stehen Arzneimittel – vor Haushaltschemikalien oder Pilzen. Aber wie kann es eigentlich zu versehentlichen Vergiftungen mit Medikamenten kommen? Und wie kann man dieser Gefahr vorbeugen?
Arzneimittelvergiftungen werden oft durch Unachtsamkeit und Sorglosigkeit herbeigeführt - vor allem im Umgang mit Medikamenten, die als ungefährlich angesehen werden, weil sie rezeptfrei erhältlich sind. Doch auch sie haben Risiken und Nebenwirkungen. Kritische Punkte sind vor allem die Dosis und die Anwendungsdauer.
Gefahr durch freiverkäufliche Schmerzmedikamente
Der Wirkstoff Paracetamol beispielsweise kann bei Überdosierung oder dauerhafter Einnahme der Leber schaden. Hier entstehen beim Abbau des Wirkstoffs giftige Stoffe, sogenannte reaktive Radikale. Wird zu viel des Wirkstoffs eingenommen, besteht die Gefahr einer schweren Leberschädigung bis hin zu Leberversagen. Übelkeit, Erbrechen und Schweißausbrüche sind erste Warnhinweise.
Auch andere nicht verschreibungspflichtige Schmerzmittel sind bei Überdosierung gefährlich, so zum Beispiel Ibuprofen und Acetylsalicylsäure (ASS). Wer diese Arzneistoffe dauerhaft oder in hoher Dosierung zu sich nimmt, riskiert eine lebensgefährliche Magenblutung sowie Herz- und Leberschäden.
Natürlich wird auf den Beipackzetteln vor den Gefahren gewarnt. Doch viele Menschen lesen die Hinweise nicht, weil sie die Medikamente für harmlos halten. Was frei verkäuflich ist, kann nicht schädlich sein, denken sie und greifen ohne Zögern zur Tablette. Vor allem Menschen, die unter großer Belastung stehen, aber dennoch funktionieren müssen und nicht ausfallen wollen, tendieren dazu. Dann werden zum Beispiel Schmerzmittel eingenommen, um den Besuch beim Zahnarzt ein paar Tage aufzuschieben oder die Erkältungssymptome, die nicht weggehen wollen, zu unterdrücken.
Denken Sie daran: Auch wenn die Schmerzen sehr stark sind, nehmen Sie nicht mehrund nicht länger Tabletten ein, als auf dem Beipackzettel angegeben ist! Denn genau das könnte Sie in die Notaufnahme eines Krankenhauses bringen.
Wenn Sie unter regelmäßig wiederkehrenden Kopfschmerzen leiden und jedes Mal Schmerztabletten einnehmen, besteht die Gefahr der chronischen Überdosierung. Diese wiederum kann genau das Symptom hervorrufen, das eigentlich bekämpft werden soll. Medizinisch spricht man dann von schmerzmittelinduziertem Kopfschmerz.
Gefahr durch Benzodiazepine
Auf ähnliche Weise kann man in den gefährlichen Konsum einer ganz anderen Art von Arzneimitteln schlittern: Beruhigungsmittel. Sie können abhängig machen, wenn sie zu lange oder in zu hoher Dosis eingenommen werden. Hier sind vor allem Benzodiazepine zu nennen, zu denen auch die Arzneistoffe Diazepam und Lorazepam gehören. Bei Unruhe, Angst, Schlaflosigkeit oder depressiver Verstimmung raten Arzt oder Ärztin manchmal zu dieser Medikation. Nach Abschluss der akuten Behandlung kann es schwerfallen, auf das wohltuende Gefühl zu verzichten, das der Wirkstoff beschert hat. Manche Menschen befürchten, ohne das Medikament nun dem normalen Alltag nicht mehr gewachsen zu sein. Sie spüren ein Wiederaufkeimen der Symptome, wenn die Wirkung der Tablette nachlässt. Oder sie nehmen eine Dosis bereits „zur Vorsorge“ ein, um eine bevorstehende Belastungssituation bewältigen zu können.
All dies sind Anzeichen von Abhängigkeit. Um sie zu vermeiden, sollen Benzodiazepine nicht länger als im akuten Fall nötig und nicht ohne ärztliche Begleitung eingenommen werden. Statt routinemäßig zur Tablette zu greifen, ist es besser, der Unruhe, Angst oder schlechten Stimmung mit therapeutischer Hilfe auf den Grund zu gehen oder nach den auslösenden Faktoren im eigenen Leben zu suchen. Auch Entspannungsmethoden können helfen, die Symptome in den Griff zu bekommen.
Zudem droht eine weitere Gefahr: Die Medikamente verlieren durch den Gewöhnungseffekt ihre Wirksamkeit. Die Folge ist, dass die Dosis gesteigert werden muss, um den gleichen Effekt zu erzielen. Weil die Substanzen nur langsam ausgeschieden werden und sich daher im Körper anreichern, kann daraus eine chronische Vergiftung resultieren. Sie äußert sich in Symptomenwie Niedergeschlagenheit, Gleichgültigkeit und verminderter Leistungsfähigkeit.
Ein plötzliches Absetzen von Beruhigungsmitteln kann zu einem Wiederauftreten der ursprünglichen Symptome führen und darüber hinaus auch zu lebensgefährlichen Störungen der Kreislaufregulation, zu Krampfanfällen oder zu Delirien.
Alkohol verstärkt die Gefahr
Es ist wichtig zu wissen, dass sich auch leicht zugängliche Medikamente nicht mit Alkohol vertragen. Je nach Wirkstoff verstärkt oder verringert Alkohol die Wirkung des Medikaments oder es treten gefährliche Neben- oder Wechselwirkungen auf. Die Folgen können von der Leberschädigung bis hin zum Kollaps führen. Deshalb: Bei der Einnahme von Medikamenten auf Alkohol verzichten!
Ausstiegsplan
Wenn Ihnen die geschilderten Verhaltensweisen bekannt vorkommen, sollten Sie handeln. Vertrauen Sie sich Ihrer Ärztin, Ihrem Arzt an oder suchen Sie eine Suchtberatungsstelle auf. Erarbeiten Sie gemeinsam einen Ausstiegsplan. Durch ein Zwischenmedikament können Entzugssymptome vorübergehend behandelt werden. Ziel sollte sein, weitgehend frei von Schmerz- und Beruhigungsmitteln zu leben und sie, wenn nötig, nur nach ärztlicher Verordnung einzunehmen.
© Landeszentrale für Gesundheitsförderung in Rheinland-Pfalz e.V. (LZG)
Text: Dr. Beatrice Wagner
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